Maria und der Feminismus
Maria drängt sich nicht auf, aber sie bringt sich ins Spiel. Das haben viele gläubige Christen, speziell in unserem Werk „Wachet und Betet“ in den letzten Jahrzehnten erfahren. Gerade an den bekannten Wallfahrtsorten Lourdes, Fatima, Medjugorje und Schio wurde vielen bewusst, dass sie eine himmlische Mutter haben, eine Fürsprecherin, eine Helferin in allen Nöten, die in keiner Weise ihrem Sohn den Rang des universalen Fürsprechers streitig machen will. Das war schon immer Lehre der katholischen Kirche und wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in „Lumen gentium“, in Artikel 62, formuliert. Dort wird sie als Fürsprecherin, Helferin, Beistand und Mittlerin bezeichnet.
Es ist schwer, das jemand Skeptischem, z.B. einem freikirchlichen oder evangelischen Christen, plausibel zu machen; aber es ist eine Erfahrung des gläubigen katholischen und orthodoxen Volkes, dass es diese Person gibt, die an der Seite ihres Sohnes, dem Retter der Welt, mitdenkt, mitleidet und in „Geburtswehen liegt“, weil sie ihn. den Erlöser, nicht annehmen will.
Eine andere Haltung Marias zu dem Erlösungsplan ihres Sohnes ist nicht denkbar: Sie, die „ja“ gesagt hat zu dieser ungeheuren Aufgabe, den Gottessohn zu empfangen, und die bis zu seinem bitteren Tod unter dem Kreuz ausgehalten hat, wie sollte sie nicht mit Leidenschaft den geistlichen Kampf um jede Seele verfolgen? Wie sollte sie nicht mit ihrem Sohn leiden, wie sie einst auf Kalvaria gelitten hat? Aus dieser Sicht scheint das Wort von der Miterlöserin nicht übertrieben.
Und die doch häufigen Marienerscheinungen in den letzten 191 Jahren, seit den Ereignissen in Paris mit Catharina Laboure, könnten einen durchaus auf den Gedanken bringen, dass sich Maria bewusst in Erinnerung bringen will, ja, dass sie mit Leidenschaft die Entwicklung unserer Kirchen und unserer Welt verfolgt.
Für uns, meine Frau und mich, gibt es so einen logischen Aufbau der Erscheinungsorte: Paris, wo sich Maria als Vermittlerin der Gnaden zeigt, Lourdes, wo sie dem Geist der Aufklärung die durch sie vermittelten Heilungswunder entgegensetzt, Fatima, wo sie sich als Prophetin erweist, Medjugorje, wo sie sich Königin des Friedens nennt, und Schio, wo sie sich als Königin der Liebe bezeichnet und ganz Mutter ist, zärtliche Mutter, die ihre Kinder an sich drückt. Dort hat auch eine Gipsfigur des Jesuskindes fünfmal geweint wegen der Gleichgültigkeit der Menschen dem Leiden Jesu gegenüber. Dieses Weinen haben viele Menschen gesehen, auch Freunde von uns, die es uns erzählten und dazu veranlassten, dass auch wir diesen Wallfahrtsort aufsuchten.Dort wird man wie mit einem Mantel von der mütterlichen Fürsorge der Madonna umhüllt. Schwer zu glauben. Aber man kann es erleben.
So weit Maria und ihre neue Aktualität.
Ja, brennende Aktualität, weil die Bewegung des Feminismus darauf hinaus läuft, sie in den Kirchen überflüssig zu machen. Sie steht angeblich für eine Frauenbild, über das man hinaus will, weil es von patriarchalisch geprägten Zeiten geformt sei.
Nun, zugegeben: Wenn man das Alte Testament liest, kommt man nicht umhin zu fragen: Und was ist mit den Frauen? Warum werden sie nicht angesprochen (z.B. in den 10 Geboten: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!) und warum werden sie meist überhaupt nicht mitgezählt?
Sogar in Neuen Testament setzt dich das fort: Bei der ersten Brotvermehrung werden 5000 Männer erwähnt, dazu noch Frauen und Kinder. Die Bedeutung der Geschlechter braucht hier nicht näher erläutert zu werden.
Und schließlich das „Vater unser“! Warum nicht auch „Mutter“?, wo Gott doch so Eigenschaften wie Barmherzigkeit zugeschrieben werden, die man eher als weiblich, mütterlich empfindet? Soll das jemand verstehen?
Nein, wir können es nicht total verstehen, aber wir sollten es respektieren und sollten auch anerkennen, wie Jesus diese unterschiedliche Wertung der Geschlechter durchbrochen hat. Und wir sollten betrachten, wie wichtig Maria ist für die Menschwerdung und Erlösung, ja auch für die Geburt der Kirche. Sie war in der Mitte, nicht organisatorische Leiterin, aber der emotionale Herd, das Dach, unter dem sich die frühe Kirche versammelt hat.
Warum sollte es heute anders sein? Warum sollte sie ihre mütterliche Liebe uns, ihren Kindern in der Welt, vorenthalten wollen? Sie, die uns aus katholischer Sicht vom Kreuz herab ausdrücklich zur Mutter gegeben wurde, von ihrem sterbenden Sohn, sein letztes Vermächtnis. Warum sollten wir es nicht dankend annehmen?
Ich kenne niemand, der so gehandelt hat und dessen Jesusbeziehung darunter gelitten hätte.
Wenn wir Maria so ihren Platz einräumen in unserem Leben und im Leben unserer Kirche, wird sich das Ärgernis der patriarchalischen Menschensicht des Alten Testamentes in eine sanfte Betrachtung umwandeln, wir werden es hinnehmen, nicht wegerklären, auch nicht schlucken wie eine bittere Pille. Wir nehmen es an in Ehrfurcht vor dem Verkünder und sehen aber auch die Bedeutung Marias im Kampf um jede einzelne Seele. Und als unsere zärtliche Mutter, die sich keiner unsere Bitten verschließt, wie es ein altes Lied besingt:“Milde Königin gedenke, wie’s auf Erden unerhört, dass ein Mensch zu Dir sich lenke, der verlassen wiederkehrt.“
Wenn wir so Maria wieder ihren Rang geben und unser Herz für ihre zarte Liebe öffnen, werden wir das Problem, das der Feminismus in der Bibel sieht, zwar nachempfinden können, aber nicht als essentiell betrachten.
Deswegen ist Marienverehrung heute besonders wichtig, weil der Feminismus extreme, sonderliche Blüten treibt, sichtbar an der gegenderten Sprache.
Wehe, wenn hier eine männliche Form für beide Geschlechter gebraucht wird: wie ungerecht! Es heißt nicht mehr „jeder kann es sehen“, sondern „jeder und jede“ kann es sehen. Bald könnte auch die bewährte Formel „ich gehe zum Arzt“,“zum Friseur“, „zum Metzger“, „zum Installateur“ oder „zum Notar“ verkompliziert werden durch die ergänzende weibliche Form, die es irgendwo ja auch gibt. Allerdings wäre dann denen, die sich als divers empfinden, nicht Genüge getan.
Am Anfang aber steht die Frage des Feminismus nach der Ausgewogenheit der Texte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit. Und hier hilft uns Maria. Einfach weil sie da ist, weil es wahr ist, weil sie sich als Mutter erweist, wenn man sie anruft. Von daher hat sie Bedeutung, vielleicht viel mehr als man ihr in den letzten Jahrzehnten zugestanden hatte.
Sie ist zwar die „Magd des Herrn“, aber auch die „Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond zu ihren Füßen“, also die Königin des Himmels, nicht irgendeine Randerscheinung. Das zu lernen, neu anzunehmen, sind wir auf- gerufen.
Und keine andere Sicht erhöht die Würde der Frau mehr, als wenn man sich mit Maria identifiziert, ihr ähnlich zu werden sucht.
Ja, Identifikation! Ein Frauenbild, das fasziniert und zur Nachahmung aufruft. Letztlich sollten wir das propagieren und dafür beten. Das marianische Frauenbild ist höchst aktuell, weil es Mütterlichkeit, Mut und Demut mit hingebungsvoller Liebe in sich vereint.
Maria war keine harmlose, naive Person. Sie verstand, worum es ging, als sie gefragt wurde, die Mutter des Messias zu werden, sie ahnte zumindest, worauf sie sich einließ, sie hatte die Kraft, unter dem Kreuz bis zum bitteren Ende auszuharren, und sie wartete im Kreise der Jünger auf den Heiligen Geist. Ja, sie steht in der Mitte des Ringens um die Neuevangelisierung. Wir wissen es, weil sie es sagt in den Erscheinungsorten. Freilich ist ihre Art der Mitwirkung eine andere als die der Soldaten an der Front. Sie ist das Kraftwerk im Zentrum, das die Peripherie wärmt und beflügelt.
Lassen wir sie neu an unsere Seele heran, nehmen wir ihre mütterliche Fürsorge an! Dann wird da Problem des Feminismus in der Kirche seine Brisanz verlieren und ein neues Frauenbild wird sich Raum verschaffen.
Am Fest „Maria Königin“, 22.8.21 Michael Hartl